Wenn das Verfallsdatum eines Geschäftsmodells erreicht ist, werden die gemachten Fehler evident. Eine wichtige Frage bleibt aber, inwieweit das Verfallsdatum absehbar war, denn eine kluge Antwort hierauf könnte viele Manager vor eigenen Krisen bewahren. Der spektakuläre Niedergang der alten Geschäftsmodelle der vier Energieriesen E.ON, RWE, Vattenfall und EnBW ist geeignet, hieraus wertvolle Schlüsse zu ziehen.

 

Mit dem Wissen von heute ist doch alles sonnenklar: Die Krise der Energieriesen wäre vermeidbar gewesen. Sie sind es doch selbst schuld, denn sie haben viel zu spät auf die Liberalisierung und die Energiewende reagiert.

Aber ganz so einfach ist es dann möglicherweise doch nicht, wenn man die Sachverhalte Revue passieren lässt, denn nicht alles Eingetretene war so vorherzusehen. Dennoch – wir müssen doch hieraus lernen können! Wir, das heißt alle Manager aller Branchen sollten insofern unseren individuellen Nutzen aus den Geschehnissen ziehen, soweit dies überhaupt möglich ist.

Kurzer Abriss der Historie

Selbst nach der Liberalisierung der Energiemärkte produzierten die Big 4 bis zum Ende der 2000er Jahre extrem hohe Gewinne, wodurch das seinerzeitige Management offenbar keine Anreize sah, die damalige Unternehmensstrategie anzupassen. Bei genauerer Betrachtung war allerdings bereits damals absehbar, dass die sich langsam verschärfende Regulierung zu einem ernsthaften Problem entwickeln wird. Es wurde versäumt, in guten Zeiten an schlechte Szenarien zu denken und in ausreichender Größenordnung in erneuerbare Energien zu investieren. Bis zur Fukushima-Katastrophe, die naturgemäß niemand hat vorhersehen können, war das politische Umfeld pro AKW-Laufzeitverlängerung, sodass die Big 4 keinerlei Leidensdruck verspürten und sich mit Ihren Geschäftsmodellen offenbar weitestgehend in Sicherheit wähnten.

Mit der Fukushima-Katastrophe änderte sich dann alles. Atomenergie war nicht mehr gewollt und Erneuerbare Energien wurden stark protegiert, wodurch die alten Strategien der Big 4 plötzlich obsolet wurden.

Stillgelegte Kraftwerke, sinkende Marktanteile im Vertrieb, sinkende Strompreise an der Börse und Überkapazitäten sind nur einige Ursachen dafür, warum die Big 4 nunmehr mit großer Eile um Ihr Überleben kämpfen, indem sie reaktiv und unter hohem Druck neue Strategien entwickeln.

Das Problem eingefahrener Systeme

Meines Erachtens ist es aber viel zu einfach, den verantwortlichen Managern die Schuld für die Misere zu geben, denn diese waren und sind schließlich auch nur Bestandteile in einem eingefahrenen System mit vielen Beteiligten, die jeweils individuelle Interessen haben. Wer glaubt, dass Kollektivinteressen von den jeweiligen Individualinteressen stehen, der hat unsere Welt offenbar noch nicht verstanden. Selbstverständlich denken die meisten Menschen in erster Linie an sich. Und deshalb hat auch jede Interessensgruppe ein jeweils eigenes individuelles Interesse an bestimmten Szenarien. Am Beispiel eines großen Energieversorgers, der als große Kapitalgesellschaft vielen Aktionären gehört, sind die wichtigsten Interessensgruppen schnell erklärt:

Die Kunden
möchten günstige Energie. Manche legen auch Wert auf Sicherheit, aber schaut man sich das Nachfrageverhalten in den jeweiligen Märkten an, dann ist der Preis jeweils ein wichtiges Kriterium. Energie ist Commodity.

Die Aktionäre
möchten im Regelfall eine verlässliche und möglichst hohe Dividende. Andernfalls verkaufen sie Ihre Aktien und investieren anderswo.

Die Politiker
möchten eine verlässliche Versorgung sicherstellen und die Kosten niedrig halten. Sie möchten die Wähler zufriedenstellen und wiedergewählt werden.

Der Vorstand
hat einen befristeten Vertrag, den er erfüllt. Üblicherweise werden von Managern von Aktiengesellschaften im Quartalsmodus möglichst hohe Gewinne erwartet. Das jeweilige Incentive des Top-Managers honoriert Gewinne und nicht etwa (unnötige) Gewinn schmälernde Investitionen.

Würde man einen Manager dafür bezahlen, dass er Arbeitsplätze (zu Lasten des Gewinns) schafft, so würde er dies selbstverständlich tun. Fraglich ist aber, ob dies auch von den Kapitalanlegern gewollt wäre. Viele von ihnen würden sicher in eine andere Aktie investieren, die das eingesetzte Vermögen besser verzinst. Ähnlich war es wohl damals mit den Investitionen in Erneuerbare Energien. Der jeweilige Vorstand hat doch in Zukunftstechnologien investiert und das offenbar in einem Umfang, der Aktionäre und Politik zufriedenstellte. Erst mit dem durch Fukushima gewonnenen Rückhalt der Wählerschaft trauten sich die Politiker einen Systemwechsel, der ohne die Katastrophe von der Bevölkerung wahrscheinlich schon aus Kostengründen mit Abwahl abgestraft worden wäre. Plötzlich waren die Menschen aber bereit, für ihre Sicherheit mehr Geld auszugeben. Und das änderte alles.

Diese veränderten Rahmenbedingungen überraschten die amtierenden Manager und es wurde unter Klageandrohung und Mitarbeiterentlassungsprognosen um staatliche Zahlungen gerungen. Logisch, denn das Incentive sah ja schließlich vor, den Quartalsertrag zu retten oder zumindest Verluste zu minimieren.

Was ich damit klarstellen möchte ist, dass ein Top-Manager immer nur für eine begrenzte Zeit im Amt ist und dass seine Rechte und Pflichten durch den Dienstvertrag definiert sind. Und eine börsennotierte Gesellschaft wählt sich naturgemäß den Manager aus, der für sie das tut, was sie von ihm erwartet, und das ist im Regelfall die Erfüllung des Shareholder-Value-Ansatzes.

Demgegenüber ist das Inhabergeführte Unternehmen systembedingt dann im Vorteil, wenn eher mittel- bis langfristige Ausrichtungen existieren und das Incentive des Unternehmenslenkers Gewinne reduzierende Zukunftsinvestitionen nicht abstraft, sondern stattdessen sogar belohnt.

Nicht jeder Manager kann alles

Ein weiterer wichtiger Aspekt in der Gesamtbetrachtung sind die sogenannten Übergangsfähigkeiten der jeweiligen Manager, wovon man in der Theorie zwischen vier Managertypen unterscheidet, die auch den jeweiligen Unternehmensphasen zuzuordnen sind:

  1. In der Entstehungsphase eines Unternehmens wird eher der innovative, hemdsärmelige Innovator,
  2. in der Wachstumsphase der auf Organisationsaufbau und Vermarktung spezialisierte Stratege,
  3. wenn „alles gut läuft“, der Administrator
  4. und in der Krise der Sanierer gesucht.

Dieser Logik folgend waren bei den Big 4 Manager der Kategorie 3 am Werk und es stellt sich die Frage, ob ein „Administrator“ ein Unternehmen sanieren oder gar neu erfinden kann? Für gewöhnlich hat der Administrator doch ein klares Verständnis vom Markt, seinem Wettbewerb und seinem Unternehmen und er wurde gesucht und beauftragt, den Status quo zu halten bzw. zu verbessern und nicht etwa neu zu erfinden. Wozu auch ohne Not?

Vom „Administrator“ zu erwarten, dass er ohne entsprechende Beauftragung einen erheblichen zwischenzeitlichen Ergebnisrückgang verantwortet, wäre damit gleichzusetzen, dass ein Politiker sich ohne eine Katastrophe von der Atomenergie verabschiedet oder dass ein Investor ohne einen auf der Hand liegenden Grund einfach auf (fest eingeplante) Gewinne verzichtet.

Ändere das System

Wenn wir es wollten, dann könnten wir die Welt besser machen, dann würden keine Menschen oder Tiere ausgebeutet und dann würde unsere Umwelt auch nicht zerstört. Wir könnten viel erreichen, wenn da nicht das vorbezeichnete Problem mit den Individualinteressen bestünde.

Zum Abschluss meines Kommentars möchte ich noch auf die Automobilindustrie hinweisen, die sich zumindest in Teilbereichen in einer ähnlichen Lage wie die großen Energieversorger vor Fukushima befindet. Daimler-Chef Zetsche erklärte noch vor einem Jahr, dass er keine Angst vor Apple und Google habe und ergänzte, dass dies die Branche nur stärker machen könne. Der damalige VW-Chef Winterkorn sah das ähnlich. Norbert Reithofer von BMW konstatierte aber, dass die Automobilbranche nicht sicher davor sei, dass andere Spieler auftauchen und dass man sich darauf einstellen müsse, dass Wettbewerber in Zukunft Autos bauen, die bisher nicht am Markt waren. Deshalb müssten die Automobilhersteller innovativ sein.

Tatsächlich befassen sich die meisten Automobilhersteller auch mit Elektroautos, aber passiert dies mit der richtigen Intensität und auf die richtige Art und Weise? Eine wichtige Frage könnte doch auch sein, was aus einer Marke wie beispielsweise BMW wird, wenn das Selbstfahrerprinzip beispielsweise abgelöst und sportliche Aspekte unbedeutend werden?

Seit Albert Einstein wissen wir, dass Probleme niemals mit derselben Denkweise zu lösen sind, durch die sie entstanden sind und der gesunde Menschenverstand sagt uns, dass ein proaktives und somit gestaltendes Agieren dem Reagieren vorzuziehen ist. Beim Agieren hat man schließlich noch Spielräume in puncto Weichenstellung und Etablierung von neuen Regelwerken wogegen die Reaktion zunächst einmal die durch Andere geschaffenen Fakten akzeptieren muss.

Meine Meinung ist, dass sich solche Krisen wie die der Big 4 auch zukünftig wiederholen werden und dass letztendlich keine Branche geschützt ist. Der Erfolg des Alten lässt das Neue nur hineinschnuppern, aber nicht wirklich hinein, und wenn das Neue von neuen Marktteilnehmern bereits etabliert wurde, dann ist es für die ehemaligen Marktführer oft zu spät.

Ein Vermeiden solcher Krisen wie bei den Energieriesen ist nur dann möglich, wenn die etablierten Systeme den eingesetzten Managern Freiräume einräumen und sie auch ermutigen, diese proaktiv zu nutzen. Und das geht naturgemäß nur dann, wenn die wesentlichen Beteiligten auch mitspielen.

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